Erlass von Säumniszuschlägen wegen sachlicher Unbilligkeit

Der BFH hat sich mit der Frage befasst, ob ein Säumniszuschlag auch dann zu erlassen ist, wenn eine rechtswidrige Steuerfestsetzung aufgehoben wird, es bezüglich des angefochtenen Bescheids aber versäumt wurde, die Aussetzung der Vollziehung auch beim Finanzgericht zu beantragen.

§ 227 der Abgabenordnung (AO) regelt die Möglichkeit des Erlasses von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Die Vorschrift ist Ausdruck des Grundsatzes von Treu und Glauben im Steuerrecht und gewährt der Finanzverwaltung ein Ermessen, das sich auf den Erlass von Steuern sowie steuerlichen Nebenleistungen erstrecken kann. 

Die Unbilligkeit kann dabei entweder persönlicher oder sachlicher Natur sein. Persönliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Einziehung der Steuer eine wirtschaftliche Notlage verschärfen oder eine existenzielle Bedrohung für den Steuerpflichtigen darstellen würde. Sachliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Steuer zwar formal korrekt erhoben wurde, die Einziehung aber mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung nicht mehr vereinbar erscheint.

Historisch geht § 227 AO auf vergleichbare Regelungen im früheren Reichsabgabenordnungsgesetz zurück. Die Vorschrift wurde in der Abgabenordnung von 1977 übernommen, wobei sie das Anliegen fortführt, in bestimmten Ausnahmesituationen Billigkeitserwägungen im Besteuerungsverfahren zuzulassen. Der Gesetzgeber wollte damit einen Ausgleich zwischen der rechtlichen Bindung der Steuerpflichtigen und außergewöhnlichen Härten schaffen, die durch eine starre Anwendung des Steuerrechts entstehen können.

Darum ging es

Das Finanzamt erließ gegenüber den zusammenveranlagten Klägern am 03.12.2018 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012. In diesem Bescheid wurde beim Kläger eine verdeckte Gewinnausschüttung von rund 4 Mio. Euro und bei der Klägerin in Höhe von rund 210.000 Euro erfasst und der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 EStG unterworfen. Die verdeckte Gewinnausschüttung beim Kläger resultierte aus einem vermeintlichen Darlehensverzicht gegenüber einer Gesellschaft.

Die sich aus dem Änderungsbescheid ergebende Nachzahlung von rund 1,1 Mio. Euro wurde am 07.01.2019 fällig. Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein und beantragten gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab Fälligkeit. Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 15.02.2019 die beantragte AdV ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos, die Einspruchsentscheidung erging am 02.10.2019. Lediglich ein Betrag von rund 1.700 Euro wurde ausgesetzt.

Am 18.10.2019 beantragten die Kläger erneut die Aussetzung der Vollziehung, welche die Finanzverwaltung am 29.10.2019 abermals ablehnte. Die Situation änderte sich jedoch, nachdem am 27.12.2019 eine berichtigte Bilanz zum 31.12.2012 mit Ausweis einer Darlehensforderung durch die Gesellschaft eingereicht wurde. Das Finanzamt setzte daraufhin ab dem 27.12.2019 fast den gesamten ursprünglichen Nachzahlungsbetrag aus.

Der Einkommensteuerbescheid 2012 wurde danach erneut geändert, wobei der sich aus dieser neuen Änderung ergebende Nachzahlungsbetrag am 06.03.2020 fällig wurde. Der Bescheid wies bereits entstandene Säumniszuschläge von rund 140.000 Euro aus. Das Finanzamt setzte die fälligen Beträge aus. 

Die Kläger beantragten daraufhin den Erlass der ab dem 07.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO. Das Finanzamt lehnte einen Billigkeitserlass ab. Auch das angerufene Finanzgericht lehnte den Erlass ab. Die Kläger hätten im Streitfall nicht alles getan, um eine AdV des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr zu erreichen. Hierfür wäre jedenfalls auch ein gerichtlicher Antrag auf AdV erforderlich gewesen.

Entscheidung des BFH

Der Bundesfinanzhof hielt die Revision für begründet und verwies das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung an das Finanzgericht zurück.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH sind Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben wird und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, das Finanzamt oder das Finanzgericht aber die Aussetzung, obwohl möglich und geboten, abgelehnt haben. 

Der Grundgedanke dabei sei, dass unter diesen Umständen Säumniszuschläge gar nicht erst entstanden wären, weshalb das Ermessen der Finanzbehörde so reduziert sein kann, dass nur der Erlass der Säumniszuschläge ermessensfehlerfrei sei.

Die Frage, ob der Steuerpflichtige „alles getan“ habe, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere sei es nicht generell erforderlich, dass der Steuerpflichtige nach der Ablehnung seines AdV-Antrags durch das Finanzamt auch noch bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung beantragt haben muss. Eine entsprechende Verpflichtung erscheine nur in besonderen Fällen denkbar, etwa wenn die Ablehnung der AdV darauf beruht, dass das Finanzamt an Richtlinien oder andere Verwaltungsanweisungen gebunden sei. In einem solchen Fall könne es erfolgversprechend sein, einstweiligen Rechtsschutz auch noch beim Finanzgericht zu beantragen.

Der BFH stellt in der Entscheidung vom 25.02.2025, VIII R 2/23 ausdrücklich klar, dass der begehrte Erlass von Säumniszuschlägen nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden könne, der Steuerpflichtige habe es versäumt, AdV auch noch bei Gericht zu beantragen. Eine dahingehende starre Obliegenheit lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. 

Habe der Steuerpflichtige seinen AdV-Antrag beim Finanzamt ausreichend substantiiert, hat er grundsätzlich alles Erforderliche getan, um AdV zu erlangen.

Diese Grundsätze werden auch nicht durch die Tatsache relativiert, dass die Finanzbehörde im AdV-Verfahren zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen verpflichtet bleibt. Das Finanzamt dürfe zwar die Prüfung auf die vom Antragsteller dargelegten Umstände begrenzen. In dem konkreten Fall sei eine Zurückverweisung an das Finanzgericht erforderlich, da mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilt werden konnte, ob die Kläger im Sinne der Rechtsprechung „alles getan“ hätten. 

Die Beurteilung hängt vor allem vom Inhalt der beiden AdV-Anträge ab, die die Kläger gestellt hatten. Da diese Schreiben in den vom Finanzgericht beigezogenen Akten fehlten, war eine abschließende rechtliche Würdigung nicht möglich.

Hinweis: Bislang musste der Steuerpflichtige zur Erlangung eines Erlasses der Säumniszuschläge alle Möglichkeiten zur Erlangung der AdV ausgeschöpft haben. Dies beinhaltete auch die Führung eines gerichtlichen AdV-Verfahrens. Diese starre Obliegenheit lasse sich laut BFH jedoch nicht entnehmen. Das eröffnet neue Möglichkeiten zum Erlass von Säumniszuschlägen. Diese Entscheidung ist bedeutsam für alle noch offenen Fälle.

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