BFH konkretisiert Behördenkenntnis bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen
Die Frage, ab wann die Finanzbehörde von steuerlich relevanten Tatsachen „Kenntnis“ hatte, ist zentral für die Abgrenzung zwischen einer bloßen Unterlassung und einer strafbaren Steuerhinterziehung durch Unterlassen. Entscheidend ist nach dem Urteil des BFH, welche Personen innerhalb der zuständigen Behörde für die Fallbearbeitung verlässlich Zugriff auf Informationen hatten und ob Daten, die nur in internen Datenspeichern lagen, der Behörde als bekannt zugerechnet werden dürfen.
Darum ging es
Die Kläger – ein Ehepaar – wurden für die Veranlagungszeiträume 2009 und 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 erzielte nur der Kläger Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Sein Lohnsteuerabzug erfolgte nach der Steuerklasse III. In den Streitjahren ging die Ehefrau einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Während der Lohnsteuerabzug des Klägers weiterhin nach der Steuerklasse III erfolgte, wurde bei der Klägerin die Steuerklasse V zugrunde gelegt, wodurch die Veranlagungsart von Antrags- zu Pflichtveranlagung hätte wechseln müssen.
Das Finanzamt hatte den Fall als Antragsveranlagung gespeichert und die Steuererklärungen der Streitjahre nicht ausdrücklich angefordert. Bei einer späteren Datenprüfung fiel auf, dass eine Pflichtveranlagung hätte erfolgen müssen. Daraufhin erließ das Finanzamt im Juni 2018 Schätzungsbescheide und setzte Einkommensteuer sowie Verspätungszuschläge fest. Das Finanzgericht Münster hat der Klage der Steuerpflichtigen stattgegeben. Zur Begründung führt es an, dass der zuständige Sachbearbeiter von den maßgeblichen Informationen abrufbar Kenntnis gehabt habe, sodass der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht erfüllt sei. Das Finanzamt legte gegen die Entscheidung Revision ein.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat die Entscheidung des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Zur Beurteilung, ob die Finanzbehörde Kenntnis von für die Steuerfestsetzung wesentlichen Tatsachen hatte, ist nach Ansicht des BFH auf diejenigen Personen abzustellen, die innerhalb der zuständigen Behörde organisatorisch für die Bearbeitung des Steuerfalls berufen sind bzw. den betreffenden Bescheid erlassen haben. Die Finanzbehörde müsse sich somit den gesamten Inhalt der bei ihr geführten Papierakten sowie einer elektronisch geführten Akte als bekannt zurechnen lassen. Dies gelte auch für sämtliche Informationen, die dem Sachbearbeiter von anderen (Dienst-)Stellen über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden. Es komme dabei nicht auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters an.
Nicht bekannt seien dagegen elektronische Daten, die nicht automatisch zur Papierakte/elektronischen Akte gelangen und lediglich auf abrufbaren Datenspeichern der Finanzbehörde liegen. Dies gelte auch dann, wenn die Daten mit der Steuernummer verknüpft seien.
Das Finanzgericht sei daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass der sachlich zuständige Bearbeiter im maßgeblichen Veranlagungszeitpunkt Kenntnis hatte. Der Steuerfall der Kläger blieb auch in den Streitjahren als Antragsveranlagung gespeichert. Die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen waren zwar mit der Steuernummer der Kläger verknüpft, aber nicht automatisch in einer Papierakte oder elektronischen Akte gespeichert. Angesichts der Speicherung als Antragsveranlagung habe für den Bearbeiter keine Veranlassung zur Einsicht in den Datenspeicher und zum Datenabruf bestanden.
Hinweis: Für Steuerpflichtige bedeutet die Entscheidung, dass eine bloße Speicherung von Daten in internen Systemen die Annahme behördlicher Kenntnis nicht automatisch begründet – insoweit kann die Unkenntnis der zuständigen Sachbearbeiter maßgeblich sein.
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