BFH äußert Zweifel an der Zulässigkeit einer Schätzung nach amtlicher Richtsatzsammlung

Ist die amtliche Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form eine geeignete Grundlage für einen äußeren Betriebsvergleich? Zu dieser Frage äußert der BFH in einer aktuellen Entscheidung erhebliche Zweifel.

Mit Urteil vom 18.06.2025 (X R 19/21) hat der BFH präzisiert, dass die Richtsatzsammlung nur noch dann als Schätzungsgrundlage herangezogen werden darf, wenn die betrieblichen Aufzeichnungen so unvollständig oder inhaltlich zweifelhaft sind, dass ein innerer Betriebsvergleich nicht möglich ist. Zwar äußerte der BFH erhebliche Zweifel an der bisherigen Form der Richtsatzsammlung, verwarf die Methode der Richtsatzschätzung jedoch nicht grundsätzlich, sondern schränkte ihre Anwendung auf diese besonderen Fälle ein.

Der Fall im Überblick

Der Kläger betrieb in den Jahren 2013 und 2014 eine Diskothek. Bei einer Außenprüfung wurden seine Kassen- und Buchführung als formell ordnungswidrig beanstandet. Die Diskothek nutzte bis zu fünf offene Ladenkassen, deren Tagesgesamteinnahmen lediglich auf Zetteln notiert und an die Buchhaltung weitergegeben wurden. Kasseneinzelaufzeichnungen konnte der Kläger nicht vorlegen, sodass der Prüfer Hinzuschätzungen vornahm.

Das Finanzgericht überprüfte die Schätzung und kam zu dem Ergebnis, dass die Methode und das Ergebnis der Finanzverwaltung nicht überzeugten. Es nahm daher eine eigene Schätzung der Getränkeumsätze vor und setzte dabei einen Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % an, den es aus der amtlichen Richtsatzsammlung ableitete.

Mit Beschluss vom 28.05.2020 (X B 12/20) hob der Bundesfinanzhof diese Entscheidung auf. Das Gericht sah den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs als verletzt an, da das Finanzgericht auf das „Fachinfosystem Bp NRW“ zurückgegriffen und die daraus entnommenen Informationen dem Kläger nicht vorab inhaltlich zugänglich gemacht hatte.

Nach einer erneuten Überprüfung bestätigte das Finanzgericht sein Ergebnis und stützte die Schätzung nun ausschließlich auf die Richtsatzsammlung. 

Einschränkung der Richtsatzschätzung durch den BFH

Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Nach Ansicht des BFH könnten bei Betrieben mit überwiegenden Bargeschäften – wie hier einer Diskothek – schon Mängel in der Kassenführung die gesamte Buchführung als nicht ordnungsgemäß erscheinen lassen. In diesem Fall seien Finanzamt und Finanzgericht grundsätzlich befugt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.

Bei der Auswahl der Schätzungsmethode wären Finanzamt und Gericht zwar frei, ihre Entscheidungsfreiheit sei jedoch durch die Grundsätze pflichtgemäßen Ermessens begrenzt. Das bedeute insbesondere, dass genauere Schätzungsmethoden gegenüber weniger genauen Vorrang hätten. Der innere Betriebsvergleich gelte in der Regel als die zuverlässigere Methode und sei deshalb dem äußeren Betriebsvergleich vorzuziehen, soweit er möglich ist.

Das Schätzungsergebnis müsse stets nachvollziehbar begründet werden. Fehlt eine solche Begründung oder ist sie nicht schlüssig, liege ein sachlich-rechtlicher Mangel vor, der auch ohne ausdrückliche Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden könnte.

Eine Diskothek könne nach Auffassung des BFH keiner der in der amtlichen Richtsatzsammlung vorgesehenen Gewerbeklassen zugeordnet werden. Die Finanzverwaltung dürfe zwar zur Gewinnung von Vergleichsdaten interne Datenbanken nutzen, diese müssen aber Mindeststandards bei der Datenerhebung erfüllen. Gerichte können verpflichtet sein, die Qualität und Herkunft dieser Daten kritisch zu hinterfragen. Bleiben solche Fragen unbeantwortet – etwa aus Gründen des Steuergeheimnisses – schmälere dies den Beweiswert der Vergleichsdaten.

Da dem Senat keine eigene Schätzungsbefugnis zukommt, muss die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung erneut an das Finanzgericht zurückverwiesen werden. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass er erhebliche Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form als Grundlage für eine Schätzung hat.

Bedeutung der Entscheidung

Zwar stellt der BFH den äußeren Betriebsvergleich und damit die Nutzung der Richtsatzsammlung als Schätzungsmethode nicht grundsätzlich in Frage, schränkt ihren Anwendungsbereich jedoch erheblich ein. 

Die Bedenken des Senats ergeben sich vor allem daraus, dass die für die Richtsätze verwendeten Daten statistisch nicht ausreichend repräsentativ sind und bestimmte Gruppen von Betrieben bereits im Vorfeld aus der Grundgesamtheit ausgeschlossen wurden. Zudem fehle es sowohl in der Betriebsprüfung als auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte bislang häufig an einer nachvollziehbaren Begründung, insbesondere wenn es um die Auswahl eines bestimmten Richtsatzes innerhalb der vom BMF vorgegebenen breiten Spanne geht.

Die Anwendung der Richtsatzsammlung komme somit nur noch für solche Betriebe in Frage, bei denen die vorhandenen Aufzeichnungen derart lückenhaft oder inhaltlich zweifelhaft seien, dass ein innerer Betriebsvergleich ausscheide. Ein solcher innerer Betriebsvergleich sei stets vorrangig anzuwenden.

Hinweis: Im vorliegenden Verfahren musste der X. Senat des BFH nicht abschließend über die grundsätzliche Tauglichkeit der Richtsatzschätzung entscheiden. Er nutzte jedoch die Gelegenheit, seine inzwischen als erheblich eingestuften Zweifel detailliert darzulegen. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob die Richtsatzschätzung weiterhin als gerichtlich anerkannte Schätzungsmethode gilt, obliegt gegebenenfalls dem Großen Senat des BFH.

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