BFH: Kenntnis vom Testament bestimmt Beginn der Festsetzungsfrist
Gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist erst, wenn der Erwerber vom konkreten Rechtsgrund seines Erwerbs erfährt. Bei testamentarischen Erbfällen ist daher der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem das wirksame Testament bekannt und durchsetzbar wird.
Der Fall im Überblick
Der Kläger ist der Neffe einer im Jahr 1988 verstorbenen Erblasserin. Diese hatte 1983 ein Testament zugunsten des Klägers und seiner Schwester zu gleichen Teilen errichtet. In einem späteren Testament vom 11.08.1988 setzte sie jedoch nur den Kläger als Erben ein. Zu Lebzeiten der Beteiligten waren diese letztwilligen Verfügungen jedoch nicht allgemein bekannt.
Bereits am 05.01.1989 war – mangels Kenntnis der Testamente – ein Erbschein erteilt worden, der den Kläger und seine Schwester je zur Hälfte als Erben auswies. Auf dieser Grundlage setzte das zuständige Finanzamt mit rechtskräftigem Bescheid vom 05.07.1994 die Erbschaftsteuer unter der Annahme der gesetzlichen Erbfolge fest.
Im Mai 2003 legte der Kläger das Testament aus dem Jahr 1988 dem Nachlassgericht vor und beantragte einen Erbschein als Alleinerbe. Seine Schwester widersprach mit dem Vorbringen, die Erblasserin sei bei der Testamentserrichtung testierunfähig gewesen. Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 27.09.2007 (Vorbescheid) an, den vom Kläger beantragten Erbschein zu erteilen. Beschwerdeinstanzen blieben erfolglos, sodass schließlich am 07.10.2009 formell ein Erbschein ausgestellt wurde, der den Kläger als Alleinerben auswies.
Daraufhin erließ das Finanzamt am 22.09.2010 einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte die Erbschaftsteuer unter Berücksichtigung des Alleinerbes neu fest. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Einspruch und Klage gegen den Änderungsbescheid blieben ohne Erfolg.
Die rechtliche Bewertung durch den BFH
Der BFH hat die Revision zurückgewiesen und die Entscheidung des Finanzgerichts bestätigt. Kernpunkt der Entscheidungsgründe ist die Auslegung des Begriffs „Kenntnis von dem Erwerb” in § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO. Demnach sei der rechtsgültige Erwerb maßgeblich, also der Erwerb aufgrund des konkreten Rechtsgrunds, auf den sich die Anlaufhemmung bezieht, in diesem Fall das gültige Testament. Es reiche deshalb nicht aus, dass der Erwerber allgemein wisse, dass er Erbe geworden sei.
Bei testamentarischer Einsetzung müsse der Erwerber „zuverlässig erfahren“ und damit Gewissheit darüber erlangen, dass er durch eine wirksame letztwillige Verfügung eingesetzt worden sei. Vor diesem Hintergrund genüge im Regelfall nicht das bloße Auffinden oder die Kenntnis eines Testaments, sondern die erforderliche Sicherheit trete regelmäßig erst mit der Eröffnung des Testaments ein.
Wenn im Erbscheinverfahren widersprechende Interessen eines anderen Erben vorliegen, bestimmt das Nachlassgericht durch seine Entscheidung den Zeitpunkt. Dieser Zeitpunkt ist der, zu dem der testamentarisch eingesetzte Erbe sichere Kenntnis erlangt. Das heißt, wenn ein anderer möglicher Erbe der Erteilung des Erbscheins widerspricht, gilt die Kenntnis im Sinne des § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO erst mit der gerichtlichen Entscheidung im Erbscheinverfahren als erlangt, unabhängig davon, ob diese Gerichtsentscheidung noch mit Rechtsmitteln angefochten werden kann oder tatsächlich angefochten wird. Die Schwester widersprach im vorliegenden Fall der Erbscheinerteilung. In diesem Fall war somit nicht die Erteilung des auf gesetzlicher Erbfolge beruhenden Erbscheins von 1989 maßgeblich, sondern der Vorbescheid des Nachlassgerichts vom 27.09.2007 (Abschluss des Erbscheinverfahrens 2009).
Nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO lief die vierjährige Festsetzungsfrist somit erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Kläger Kenntnis erlangt hatte (hier: Ende 2007), und endete damit mit Ablauf des Jahres 2011. Der Änderungsbescheid vom 22.09.2010 lag innerhalb dieser Frist.
Hinweis: In Erbfällen mit unklarer oder später bekannt gewordener testamentarischer Verfügung sollte der Beginn der Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer sorgfältig dokumentiert werden. Maßgeblich ist nicht der Todeszeitpunkt, sondern die nachweisbare Kenntnis vom wirksamen Erwerb.Es ist daher zu prüfen, wann das Nachlassgericht erstmals eine eindeutige Entscheidung über den Erbanspruch getroffen hat (z.B. Vorbescheid oder Erbschein), und dieser Zeitpunkt sollte sicher dokumentiert werden. Gerne beraten wir Sie!
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